"You love me?" - Yeahh!
Tina Turner am 27. Juli 1996 in Köln
(Westfälische Nachrichten, Kulturelles Leben, 29. Juli 1996)
Es werden Zeiten kommen, da müssen wir ohne sie auskommen. Ohne die großen Performer, die mit Charisma und Können wirklich große Shows liefern. Eintagsfliegen werden die Szene beherrschen. Aber noch gibt es sie, die großen Stars. Tina Turner zum Beispiel. Am Samstagabend begann sie im nicht ganz ausverkauften Müngersdorfer Stadion in Köln ihre Serie von Deutschland-Konzerten mit einem grandiosen Auftritt.
Tina Turner wurde von ihrem Mann verprügelt, das weiß eigentlich jeder. Und TinaTurner hat irgendwann einmal die symbolträchtige Flucht angetreten, ist Tyrann Ike davongelaufen und hat sich alleine durchgeschlagen, hochgearbeitet. Auch das weiß jeder. Dies alles und die konsequente Weigerung, alt zu werden und sich unterkriegen zu lassen, verhalf der inzwschen 58-Jährigen zum Ruf der starken Frau. Ein Stückchen ist sie Vorbild für viele, die sie für ihren Mut und all die Energie, die sie ausstrahlt, bewundern. Und so sah man am Samstag viele Damenclübchen im Stadion - die, die es geschafft hat, als Ikone.
Die alte Dame der Rockmusik ließ die Leute im Stadionrund lange warten. Nachdem sie mit hupender Polizeieskorte im Backstage-Bereich angekommen war, nahm sie zunächst einmal eine Goldene Schallplatte entgegen und ließ sich dann noch etwas Zeit. Erst um 21 Uhr erklomm sie die Bühne. Vier Lieder vom jüngsten Album "Wildest Dreams" spielte sie, und dann legte sie mit den alten Sachen los. Begleitet von einer exzellenten Band mit durchaus prominenten Namen wie John Miles ("Music") bot Tina Turner zum stolzen Preis von 75 Mark zwei Stunden lang eine geballte Packung schreienden Rocks. Klitschnaß geschwitzt und mit wechselnden Kleidchen, die zu tragen sich mancher Fan im Enkel-Alter nicht leisten kann. Was sie tat, die stakkatohaften Manierismen der Rocklady, übertrugen große Leinwände bis in die hinterste Reihe. Im "Goldeneye" im Hintergrund der Bühne gab's auch Video-Sequenzen. "You love me?" Yeahh!
Ein wie bei so vielen Konzerten dieser Tage eingeschobener Akkustik-Teil bewies dann, was hier den Abend ausmachte. Tina setzte sich auf einen Barhocker, auf dem es sie sichtlich schwer hielt, und sang mit spärlicher Begleitung vier Hits vom Schlage "Steamy Windows". Und beinahe war kein Unterschied zu merken. Ein Tina-Turner-Konzert besteht eben aus dieser Stimme. Die ist nicht so fein-brillant wie die einer Mariah Carey, sondern schmutzig und echt. Kaum einen Aussetzer zeigte sie dabei, kreischte sich sicher durch all die Höhen.
Bei all dem blieb kaum ein Hit aus den Jahren aus. Und so klang das Konzert nach "Notbush City Limits" mit der zweiten Zugabe "On silent Wings" vom aktuellen Longplayer aus. Es bleibt die Angst vor den Zeiten, in denen es solche Shows nicht mehr geben wird.
Gunnar A. Pier